In der Markusgemeinde in Vennhausen hat es Fälle sexualisierter Gewalt durch einen ehemaligen, inzwischen verstorbenen Gemeindepfarrer gegeben. Gesucht werden weitere Betroffene, aber auch Zeitzeug*innen.

Ende Mai 2025 hat die Evangelische Kirche in Düsseldorf zwei Fälle von sexualisierter Gewalt in der Markusgemeinde öffentlich gemacht, die im Zeitraum der 1970er- bis 1990er-Jahre stattgefunden und männliche Erwachsene betroffen haben sollen. Gesucht werden nun weitere Betroffene, aber auch Zeitzeug*innen.
Dem ehemaligen Gemeindepfarrer wird vorgeworfen, im Rahmen seiner seelsorglichen Tätigkeit sexualisierte Gewalt ausgeübt zu haben. Die beiden Fälle sind von der Kirche sicher anerkannt. Die bisher bekannten Schilderungen betroffener Personen lassen weitere Betroffene vermuten, heißt es in der Pressemitteilung vom 20. Mai 2025. Der beschuldigte Pfarrer sei insbesondere durch sein Engagement für die Rechte homosexueller Menschen überregional bekannt gewesen.
Es geht um Pfarrer W., der von 1973 bis 2001 in der evangelischen Markusgemeinde tätig war und 2015 verstorben ist. W. ist kein Unbekannter. Neben seiner Tätigkeit als evangelischer Theologe war er Sexualberater und Autor. Mit seinen Büchern zur Homosexualität im Kontext der Kirche ebnete er den Weg zu mehr Offenheit in der Rheinischen Landeskirche gegenüber homosexuellen Menschen. 1977 gehörte er zu den Gründungsfiguren der Initiative „Homosexuelle und Kirche“, die bis heute als „Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche“ (HuK) bundesweit aktiv ist. 1996 erhielt er den Osnabrücker Rosa-Courage-Preis für seinen unermüdlichen Einsatz in der evangelischen Kirche für die Gleichstellung Homosexueller. Anerkannt war W. auch in der Düsseldorfer Stadtgesellschaft, er gehörte zum Vorstand der Telefonseelsorge in Düsseldorf und leitete lange Jahre die regionale HuK-Gruppe.
Nicht erst seit einer im Januar 2024 veröffentlichten Studie, die sich mit der Positionierung der HuK in Hinblick auf die Bewertung von Pädosexualität befasst, steht Pfarrer W. im Fokus von kritischen Fragen. Sein Freund und Lehrer war Helmut Kentler (1928-2008), der heute als einer der einflussreichsten Unterstützer pädosexueller Interessengruppen in der Bundesrepublik der 1970er- bis 1990er-Jahre gilt. Mitte der 1990er-Jahre war W. neben Kentler Mitglied im Kuratorium der pädosexuell orientierten „Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität“ (AHS), und beide waren einflussreiche Persönlichkeiten innerhalb der HuK. In der genannten Studie bleibt die Frage offen, ob pädosexuelle Praktiken innerhalb der HuK verbreitet waren, berichtet wird jedoch von einer betroffenen Person, die „in der Düsseldorfer Gemeinde von [Pfarrer W.] auf pädosexuelle Männer gestoßen sei, die sie mit nach Hause genommen hätten“.
Der Evangelische Kirchenkreis Düsseldorf hat nun in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche im Rheinland und der Markusgemeinde eine unabhängige Studie zu den beschriebenen Fällen sexualisierter Gewalt in Auftrag gegeben. Die Studie wird damit Teil der institutionellen Aufarbeitung der Kirche. Es wird aber zugesichert, dass die Kirche keinen Einfluss auf den Verlauf und die Ergebnisse nehmen kann.
Das Forschungsteam um die Sozialwissenschaftlerin Prof. Dr. Johanna Sigl von der Hochschule RheinMain Wiesbaden sucht sowohl mögliche weitere Betroffene als auch Zeitzeug*innen, die nicht direkt betroffen waren. Diese könnten etwas zur Aufklärung beitragen, etwa weil sie damals in der Markusgemeinde aktiv gewesen sind, in einer von Pfarrer W. geleiteten Beratungs- oder Selbsthilfegruppen teilgenommen haben oder sich an ihn im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Düsseldorfer Telefonseelsorge gewandt haben. Ebenso sind Auskünfte von ehemaligen Mitgliedern der Düsseldorfer Regionalgruppe „Homosexuelle und Kirche“ hilfreich.
Zum Start des Aufarbeitungsprozesses erklärte Superintendent Heinrich Fucks, Leitender Geistlicher der Evangelischen Kirche in Düsseldorf: „Wir stellen uns unserer Verantwortung. Die Schilderungen der Betroffenen nehmen wir sehr ernst. Es geht uns darum, ihnen durch die Studie Gehör zu verschaffen und strukturelle Bedingungen aufzudecken, die sexualisierte Gewalt ermöglicht oder begünstigt haben. Wir richten den Blick nicht nur auf den Beschuldigten, sondern auch auf ein System, das Machtmissbrauch, spirituellen Missbrauch und Grenzverletzungen zugelassen hat. Wir haben uns bewusst für eine unabhängige Studie entschieden. Ihre Erkenntnisse helfen uns bei unserer eigenen internen Aufarbeitung – und zur Veränderung.“

Wer Interesse an einer Teilnahme oder Fragen zum Projekt hat, kann gerne direkten Kontakt aufnehmen: Dr. Sebastian Hempel (Projektmitarbeiter). E-Mail: sebastian.hempel@hs-rm.de, Tel. 0611 / 949 513 45
Text: Oliver Erdmann