Coming-out in der katholischen Kirche

Mit einer öffentlichkeitswirksamen Aktion haben sich gestern über 100 Mitarbeiter*innen der katholischen Kirche als queer geoutet. Mit ihrem Manifest treten sie ein für eine diskriminierungsfreie Kirche. Mit dabei ist auch ein ehemaliger Düsseldorfer Religionslehrer.

Bild: Kirchturm vor Himmel
Foto: Brett Sayles / Pexels / CC0

„Wir sind’s! Es wurde viel über uns gesprochen. Nun sprechen wir selbst.“ So beginnt das Manifest von über 100 Mitarbeitenden in der katholischen Kirche, das am 24. Januar 2022 veröffentlicht wurde. Es schaffte es direkt in die Top-News aller Nachrichtensender und Tageszeitungen. Wenige Tage nach der Veröffentlichung des verheerenden Missbrauchsgutachtens im Erzbistum München und Freising, das auch den ehemaligen Papst Benedikt XVI. belastet, steht die römisch-katholische Kirche nun erneut im Fokus der Öffentlichkeit. Die Kritik an der überkommenen Sexualmoral ist zwar nicht neu, wird aber jetzt mit der großangelegten Aktion #OutInChurch befeuert.


Hauptamtliche, ehrenamtliche, potenzielle und ehemalige Mitarbeiter*innen der römisch-katholischen Kirche machen sich hier Luft. Sie arbeiten und engagieren sich unter anderem in der schulischen und universitären Bildung, in der Katechese und Erziehung, in der Pflege und Behandlung, in der Verwaltung und Organisation, in der sozialen und caritativen Arbeit, als Kirchenmusiker*innen, in der Kirchenleitung und in der Seelsorge. Und sie sagen nun öffentlich: „Wir identifizieren uns unter anderem als lesbisch, schwul, bi, trans*, inter, queer und non-binär.“


Die meisten von ihnen haben nach eigener Aussage Erfahrungen mit Diskriminierung und Ausgrenzung in der Kirche gemacht. Denn immer noch würden queere Liebe, Orientierung, Geschlecht und Sexualität diffamiert und die Persönlichkeit queerer Menschen entwertet – insbesondere von Seiten des kirchlichen Lehramtes, so die Betroffenen. „Eine solche Diskriminierung ist ein Verrat am Evangelium und konterkariert den evangeliums­gemäßen Auftrag der Kirche, der darin besteht, ‚Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit‘ zu sein“, heißt es in dem Manifest. Und weiter: „Angesichts dieser Zustände wollen wir nicht länger schweigen. Wir fordern eine Korrektur menschenfeindlicher lehramtlicher Aussagen – auch in Anbetracht weltweiter kirchlicher Verantwortung für die Menschenrechte von LGBTIQ+ Personen. Und wir fordern eine Änderung des diskriminierenden kirchlichen Arbeitsrechts einschließlich aller herabwürdigenden und ausgrenzenden Formulierungen in der Grundordnung des kirchlichen Dienstes.“


Unterstützt werden die Initiator*innen bereits von zahlreichen kirchlichen Verbänden, wie dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend, der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg oder dem Präsidium des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.


Zu den rund 125 Personen, die an der Aktion #OutInChurch als Betroffene mitgewirkt haben, ist auch Georg Henkel aus Düsseldorf. Der 52-Jährige ist schwul und arbeitet als Bildungsreferent beim ASG-Bildungsforum. Zuvor war er Religionslehrer an einer Düsseldorfer Schule, irgendwann sei ihm aber klargeworden, dass er „unter dieser Grundordnung“ „nicht würdevoll leben“ könne. Er wolle offen sagen können, dass er einen Mann habe, doch dies sei in dieser „arbeitsrechtlichen Konstruktion“ nicht möglich gewesen, sagt Georg Henkel in dem Video zur Dokumentation „Wie Gott uns schuf – Coming-out in der katholischen Kirche“ (abrufbar in der ARD-Mediathek). Zu seiner Beteiligung an der #OutInChurch-Aktion sagt Henkel: „Ich bin hier, weil eine Kirche, die das ‚Leben in Fülle‘ glaubwürdig verkündigen und empfangen will, auf die Freiheit und Sichtbarkeit, auf die Vielfalt, die Lebendigkeit und den Segen von LGBTIQs unbedingt angewiesen ist.“

 

# Out In Church – Für eine Kirche ohne Angst.

Die Forderungen an die Römisch-Katholische Kirche:

 

  • Wir wollen als LGBTIQ+ Personen in der Kirche ohne Angst offen leben und arbeiten können.
  • LGBTIQ+ Personen müssen einen diskriminierungsfreien Zugang zu allen Handlungs- und Berufsfeldern in der Kirche erhalten.
  • Das kirchliche Arbeitsrecht muss geändert werden. Ein offenes Leben entsprechend der eigenen sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität, auch in einer Partnerschaft beziehungsweise Zivilehe, darf niemals als Loyalitätsverstoß oder Kündigungsgrund gewertet werden.
  • Diffamierende und nicht zeitgemäße Aussagen der kirchlichen Lehre zu Geschlechtlichkeit und Sexualität müssen auf Grundlage theologischer und humanwissenschaftlicher Erkenntnisse revidiert werden. Dies ist besonders in Anbetracht weltweiter kirchlicher Verantwortung für die Menschenrechte von LGBTIQ+ Personen von höchster Relevanz.
  • Die Kirche darf LGBTIQ+ Personen bzw. -Paaren den Segen Gottes sowie den Zugang zu den Sakramenten nicht vorenthalten.
  • Eine Kirche, die sich auf Jesus und seine Botschaft beruft, muss jeder Form von Diskriminierung entschieden entgegentreten und eine Kultur der Diversität fördern.
  • Im Umgang mit LGBTIQ+ Personen hat die Kirche im Laufe ihrer Geschichte viel Leid verursacht. Wir erwarten, dass die Bischöfe dafür im Namen der Kirche Verantwortung übernehmen, die institutionelle Schuldgeschichte aufarbeiten und sich für die von uns geforderten Veränderungen einsetzen.

 

Text: Oliver Erdmann