Homofeindliche Bluttat

Das Messerattentat auf ein schwules Paar aus Krefeld am 4. Oktober in Dresden hat fassungslos gemacht. Es erinnert an eine Tat in Düsseldorf vor 25 Jahren. Damals wurde Siegfried Strukmeier im Hofgarten brutal ermordet. Das Motiv – damals wie heute: Hass auf Homosexuelle.

Bild: Menschen gedenken des Terroranschlags in Dresden
Am 1. November 2020 gedachten rund 350 Menschen den Opfern des schwulenfeindlichen Anschlags in Dresden. // Foto: CSD Dresden e.V.

Am 4. Oktober dieses Jahres wurde ein schwules Paar aus Krefeld in der Dresdener Altstadt auf offener Straße mit einem Messer attackiert. Der 55-jährige Thomas L. wurde getötet, sein Lebenspartner überlebte den Angriff schwerverletzt. Als mutmaßlicher Täter wurde ein 20-Jähriger festgenommen, der dem sächsischen Landesverfassungsschutz als Gefährder bekannt war. Sein mutmaßliches Motiv: Schwulenhass. Die Behörden sprechen von einem Terroranschlag, verschweigen aber die Tatsache, dass es sich bei den Opfern um ein schwules Paar gehandelt hat.


Zu einer Gedenkfeier kamen am 1. November 2020 rund 350 Menschen auf dem Dresdener Altmarkt zusammen und verurteilten die Tat, die von den meisten Redner*innen als queerfeindlich eingestuft wird. Organisiert wurde die Veranstaltung vom CSD Dresden e.V., der sich zusammen mit dem Projekt 100% Mensch, der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und dem Verband CSD Deutschland e.V. in einem offenen Brief (Externer Link) gegen das Schweigen zu diesem Hassverbrechen positioniert.

 

Auch Tom Haus vom LSVD Sachsen sagt: „Der Lesben- und Schwulenverband verurteilt die Terrortat in Dresden aufs Schärfste.“ Es sei unverständlich, weshalb die Strafverfolgungsbehörden und das Innenministerium in Sachsen zu dem möglichen homosexuellenfeindlichen Tatmotiv schweigen.“

 

Bild: Dresdener Kulturpalast in Regenbogenfarben
Anlässlich der Gedenkveranstaltung in Dresden wurde der Kulturpalast am Altmarkt illuminiert. // Foto: CSD Dresden e.V.

Die Terrortat von Dresden erinnert in bedrückender Weise an ein Verbrechen, das vor genau 25 Jahren in Düsseldorf stattgefunden hat.


Am 2. November 1995 wurde der Innenarchitekt Siegfried Strukmeier ermordet. Vier bis fünf junge Männer waren in den Hofgarten gekommen, um dort „Schwule zu klatschen“. Das Parkgelände um den Napoleonsberg galt als beliebter Treffpunkt für schwule Männer. Hier trafen die Jugendlichen – laut Medienberichten in Bomberjacken gekleidet – auf ihr Opfer. Der 47-Jährige wurde niedergeschlagen und mit unzähligen Messerstichen in Hals und Brust verletzt. Er starb noch vor Ort. Die Täter konnten zunächst fliehen.

 

Bernd Plöger, der damals im Lesben- und Schwulenzentrum Café Rosa Mond tätig war und auch den Mordprozess miterlebt hat, erinnert sich: „Die Täter waren zwischen 17 und 19 Jahre alt. Es waren junge Rechtsradikale, die mit großer Brutalität gezielt gegen Schwule oder Obdachlose vorgingen. Nach dem Mord im Hofgarten waren sie wohl nach Frankreich geflohen und der Fremdenlegion beigetreten. Dort prahlten sie mit ihrer Tat, wurden daraufhin aber von einem Vorgesetzten gemeldet. Sie kamen in Deutschland vor Gericht.“ In der Untersuchungshaft beging einer der Angeklagten Selbstmord, gegen die anderen wurden aufgrund ihres Alters zur Tatzeit Jugendstrafen verhängt.

 

Bild: Bernd Plöger
Bernd Plöger erinnert sich oft an den Mord an Siegfried Strukmeier im Jahr 1995. // Foto: Oliver Erdmann

Bernd Plöger ist heute bei der Fachstelle „Altern unterm Regenbogen“ tätig und lernte erst kürzlich einen guten Freund von Siegfried Strukmeier kennen. Dieser habe ihm eine Kiste mit Zeitungsausschnitten und den Todesanzeigen sowie einigen Dingen aus dem Nachlass des Mordopfers gezeigt. „Das war noch einmal sehr berührend“, sagt Plöger, den die damalige Tat auch heute noch regelmäßig beschäftigt. „Meine Joggingstrecke führt mich drei Mal die Woche am Tatort vorbei“, erzählt Bernd Plöger. „Jedes Mal denke ich an diesen fürchterlichen Mord. Und daran, wie viele unentdeckte Gewalttaten gegen LSBTI* in dieser Stadt es auch heute noch gibt.“


„Der Tod von Siegfried Strukmeier hat etwas bewirkt“, sagt Bernd Plöger. Damals habe es ein großes Misstrauen gegenüber der Polizei gegeben. Augenzeugen aus dem Hofgarten waren kaum zu ermitteln, zu groß war die Angst unter den schwulen Cruisern vor einem Outing, aber auch vor behördlichen Repressalien. Viele kannten noch die Zeiten, in denen die Polizei regelmäßig Razzien in Düsseldorfer Schwulenkneipen durchführte. Im Zuge der Mordermittlung kam es erstmals zur Zusammenarbeit von Polizei und den Streetworkern der Aidshilfe, die den Kontakt zu möglichen Zeugen herstellen sollten. Ein neues Kapitel wurde aufgeschlagen.


Es kam zum Austausch mit der schwul-lesbischen Community. Das Schwule Überfall-Telefon wurde ins Leben gerufen. In Zusammenarbeit mit der Stadt wurde im Hofgarten eine Notrufsäule aufgestellt. Die Präventionsarbeit nahm Fahrt auf, es wurden erste Aufklärungsprojekte an Schulen gestartet. Auch die Community rückte zusammen und gründete eine Arbeitsgemeinschaft, das heutige LSBTIQ+ Forum Düsseldorf. Bis auf die Notrufsäule, die vor einigen Jahren abgebaut werden musste, existieren Projekte wie das Schwule Überfall-Telefon oder die Antidiskriminierungs-Workshops (SCHLAU) weiterhin. Denn auch heute noch gibt es Homo- und Transfeindlichkeit und Gewalt gegen LSBTIQ*, wie nicht zuletzt der jüngste Anschlag in Dresden gezeigt hat.

 

Infos zum Schwulen Überfall-Telefon: www.duesseldorf19228.de

Infos zum Aufklärungsprojekt SCHLAU: duesseldorf.schlau.nrw

Infos zum LSBTIQ+ Forum Düsseldorf: www.forumlstduesseldorf.de

 

Text: Oliver Erdmann