Seit gut einem Jahr gibt es den Podcast „BI YOUR SIDE“. Anna Ruhland und Jan
Willems haben es sich zum Ziel gesetzt, mehr Sichtbarkeit für bisexuelle Identitäten
zu schaffen. Wir sprachen mit dem 30-jährigen Düsseldorfer über seinen Aktivismus.
Jan, zusammen mit deiner Kollegin Anna Ruhland produzierst du seit einem Jahr den Podcast „BI YOUR SIDE“. Inzwischen habt ihr 20 Folgen veröffentlicht. Wie kam es dazu und wie viele Zuhörer*innen habt ihr?
Anna und ich kannten uns über unseren Aktivismus auf Instagram. Anna hatte damals selbst schon einen eigenen Podcast „Wie Frau Liebt“ bei dem ich auch zu Gast war. Irgendwann kam Anna mit der Idee auf mich zu doch einen gemeinsamen Podcast zu starten. Da ich selbst schon immer einen Podcast zum Thema Bi+, Liebe und Queerness machen wollte, fand ich die Idee super und wir haben mit Annas Expertise schnell den Podcast BI YOUR SIDE auf die Beine gestellt. Mittlerweile mit 1000 festen Zuhörer*innen und insgesamt über 23.000 Wiedergaben der Folgen.
Das „B“ für bisexuell ist seit jeher Bestandteil von „LSBTIAQ*“ – noch bevor trans*, inter* oder queer das nicht-heteronormative Spektrum auch im Sprachgebrauch ergänzt haben. Doch im Gegensatz zu anderen Identitäten ist das Bi+Spektrum bis heute eher unsichtbar. Was glaubst du, woran das liegt?
Bi+Sexualität ist schwerer einzuordnen für die meisten Menschen. Unsere Gesellschaft liebt Schubladen und denkt daher oft monosexuell, also hetero oder homo. Dass es dazwischen zahlreiche Abstufungen und Zwischentöne gibt, kann für viele überfordernd sein oder sogar Angst machen, wenn man bis dato kaum Berührungspunkte damit hatte. Bi Erasure (also Unsichtbarmachung von Bi+Sexualität) ist dann eine mögliche Reaktion. Wenn zum Beispiel über das Blutspendeverbot für MSM gesprochen wird und in der Berichterstattung explizit nur von schwulen Männern gesprochen wird, macht das nicht nur die Existenz von bisexuellen Männern unsichtbar, sondern auch deren Probleme.
„Du bist doch eigentlich schwul.“ Wie bist du mit diesem Vorurteil umgegangen und wie verlief dein Coming-out?
Damals hat mir dieses Vorurteil noch sehr zu schaffen gemacht, da man sich im Selbstfindungsprozess oft auch selbst in Frage stellt. Während man selbst versucht herauszufinden, wo man denn jetzt wirklich steht und vor allen Dingen worauf, kommen dann permanent Stimmen von außen, die es meinen besser zu wissen und dir zu sagen, was du jetzt genau bist. Das ist furchtbar frustrierend und für den ohnehin schon oft anstrengenden Prozess eines Coming-Outs sehr kräftezerrend.
Ich bin aber nun immer wieder zu dem Ergebnis gekommen, dass ich eben auf Frauen und Männer stehe. Sowohl romantisch als auch sexuell. Und da bin ich heute sicherer mit als je zuvor. Diese Vorurteile verunsichern mich gar nicht mehr, ich weiß aber auch, dass es viele gibt, die es halt noch manchmal aus der Bahn wirft. Man sollte einfach jeden machen lassen, alles andere ist übergriffig.
Du verstehst dich als Bi- und Poly-Aktivist und lebst mit deiner Frau und deinem Freund in einer polyamoren Beziehung. Wie würdest du den Zusammenhang zwischen Bisexualität und Polyamorie beschreiben?
Grundsätzlich gilt: Polyamor kann jeder sein. Ganz unabhängig von der sexuellen Orientierung. Dennoch sehe ich bei mir einen Zusammenhang bezüglich meiner Sexualität, aber eher im allgemeinen Sinne. Meine Sexualität hat mich dazu gezwungen viele Dinge zu hinterfragen und eben gewisse Schubladen zu sprengen. Ich habe gemerkt, dass es eben nicht nur schwarz und weiß gibt, sondern sehr viele Graustufen. Irgendwann überträgt man das auf andere Dinge und hinterfragt erlernte Konstrukte, die vielleicht gar nicht so gut für einen funktionieren und probiert neue Wege aus. So habe ich dann zum Beispiel festgestellt, dass ich eben auch mehrere Menschen lieben kann. Und da Polyamorie auch noch ein exotischer Begriff für den Großteil der
Gesellschaft ist, braucht es auch hier Aufklärung. Ein Grund, warum wir sehr offen mit dem Thema umgehen und aufklären möchten.
In Düsseldorf gibt es Gruppenangebote für Menschen mit verschiedenen sexuellen und geschlechtlichen Identitäten, sogar ein Polyamorie-Stammtisch trifft sich seit einigen Jahren. Doch wo sind die Bi+Sexuellen? Wie erklärt sich die fehlende Sichtbarkeit?
Ein Grund wird nach wie vor sein, dass man sich nirgendwo richtig zugehörig fühlt. Als bisexueller Mann habe ich auch ganz lange das Gefühl gehabt, dass ich kein richtiger Teil der Community bin und kein Recht habe, Safe Spaces einzufordern. Das ist aber totaler Quatsch. Jeder Teil der Community ist valide und seitdem ich offen mit meiner Sexualität umgehe bin ich auch selten bis gar nicht für diese angefeindet worden. Ich denke viele haben einfach noch Angst nicht akzeptiert zu werden, aufgrund der vielen Vorurteile, die sich ja auch teilweise in der Community wiederfinden. Daher ist ein Austausch super wichtig, der mir damals sehr gefehlt hat. Am Ende hat man viele ähnliche Probleme und zu wissen nicht allein zu sein, kann sehr viel Kraft geben.
Was würdest du dir in Bezug auf das Thema Bisexualität wünschen?
Ich wünsche mir mehr Sichtbarkeit. Es ist nach wie vor viel zu wenig und die Vergangenheit hat gezeigt, dass Sichtbarkeit Ängste nimmt und Akzeptanz in der breiten Masse fördert. Das betrifft dann sowohl die heteronormative Gesellschaft aber auch die Community. Grade letztere könnte für bi+sexuelle Menschen die erste Anlaufstelle und sicherer Hafen sein. Das kann damit
anfangen, dass man sich nicht an Vorurteilen hängt und bisexuellen Menschen einfach mal zuhört. Ebenso können natürlich sichtbar bi+sexuelle Austauschmöglichkeiten helfen um zu merken, dass man eben nicht alleine ist. Am Ende des Tages will man das, was alle wollen: So akzeptiert und geliebt werden, wie man eben ist.
Fragen: Oliver Erdmann