Queer Ancestors

Das Ergebnis eines queeren Theaterclubs am Düsseldorfer Schauspielhaus hat gestern im Unterhaus Premiere gefeiert. Elf Schauspieler*innen haben sich auf beeindruckende Weise mit ihren queeren Ahnen und Vorbildern auseinandergesetzt.

Bild: Die Schauspieler*innen und das Team des queeren Theaterclubs am Düsseldorfer Schauspielhaus
Die Schauspieler*innen und das Team des queeren Theaterclubs am Düsseldorfer Schauspielhaus. // Foto: Sandra Then

Wer sind unsere queeren Ahnen? Zu dieser Frage haben in den vergangenen Wochen elf Menschen unterschiedlichen Alters unter Anleitung von Lasse Scheiba und Liz Sonnen vom Stadtkollektiv, der partizipativen Sparte des Düsseldorfer Schauspielhauses, gearbeitet. Im Rahmen eines queeren Theaterclub verbrachten sie viel Zeit mit Recherche und beschäftigten sich mit queeren Identitäten im Laufe der Menschheitsgeschichte. Entstanden ist eine überaus sehenswerte Inszenierung, die erstmals am 16. März 2024 auf der Bühne im Unterhaus aufgeführt wurde.

 

Bild: Schauspielerin umhüllt von der Bi-Pride-Flagge
Martha erzählt von ihrer queeren Ahnin: Charlotte Wolff war Jüdin, Naturwissenschaftlerin, Sexualforscherin und bisexuelle Frau. // Foto: Sandra Then

Die gemeinsame Arbeit sei in weiten Teilen ein intensiver Aushandlungsprozess gewesen, sagt Lasse Scheiba, Dramaturg und Projektleiter des Stadtkollektivs. Im Theaterclub hätten sich die Teilnehmer*innen zunächst mit sich selbst und ihrer eigenen Queerness beschäftigt. Niemand sei mit konkreten persönlichen Vorbildern angekommen, vielmehr habe man sich gefragt, was muss ein Queer Ancestor erfüllen, was muss er*sie erlebt haben. In der gemeinsam erarbeiteten Inszenierung gehe es daher auch weniger um das Vorstellen von Ikonen der LGBTQ*-Geschichte, sondern mehr um das Finden von Identitäten, ergänzt Liz Sonnen, freie Theatermacherin aus Düsseldorf. Die beiden Projektleiter*innen engagieren sich selbst seit einiger Zeit erfolgreich für mehr Queerness am hiesigen Theater – mit Formaten wie „Drag & Biest“ und dem lesbischen Salon „Sonnenstudio“.

 

Bild: Ein weinender Mann mit Bart und Brille wird umarmt und getröstet. Zwei Frauen blicken traurig drein.
Georg schildert die schmerzlichen Empfindungen im Zusammenhang mit seinem Coming-out. // Foto: Sandra Then

Im Stück „Queer Ancestors“ nimmt das Publikum teil an einer Probe für eine zukünftige Aufführung, die Schauspielenden sind noch mitten in ihrer Theaterclub-Arbeit. Sie haben schon eine Menge zur ihren queeren Vorfahr*innen herausgefunden, jede der elf Personen hat das Ergebnis ihrer Recherche in großen Kartons mit auf die Bühne gebracht. „Wir sind alle queer hier auf der Bühne. Und auch die Menschen, die wir heute vorstellen, sind alle queer. Wir haben da Quellen für. Alles belegt“, verrät Jessica den Zuschauenden.

 

Ein Frau steht im Scheinwerferlicht und hält eine Discokugel über den Kopf, die Lichtpunkte wirft. Im Hintergrund sind zwei männliche Personen zu erkennen.
„Du hast dich verloren gefühlt. Ungeliebt und falsch. Doch weißt Du, es gibt da so viele von dir. Du kannst jetzt losgehen. Dich auf die Suche begeben.“ Diese Zeilen schreibt Jessica in einem Brief an ihr jüngeres Ich. // Foto: Sandra Then

Und diese Quellen reichen weit zurück, wie Finn zu erzählen weiß: „Unsere Geschichte und Suche, unsere Geburt und Auferstehung beginnt ungefähr vor 14.000 Jahren. 12.000 BC – before christ. Höhlenmalereien zeigen Bilder gleichgeschlechtlicher Erotik.“ Trans* Mann Finn hat für sich selbst einen queeren Ahnen identifiziert, der wahrlich ein Vorkämpfer für die rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen war: Karl Heinrich Ulrichs (1825-1895) forschte und publizierte über gleichgeschlechtliche Liebe, die er „Uranismus“ nannte, und bekannte sich 1867 öffentlich vor dem deutschen Juristentag zu seiner Homosexualität, was zu jener Zeit nicht ungefährlich war.

 

Mann mit längeren Haaren hält ein gerahmtes Porträt in den Händen. Eine Gruppe von Menschen schaut interessiert zu.
Karl Heinrich Ulrichs hat sich Finn als seinen "Queer Ancestor" ausgesucht. // Foto: Sandra Then

Dass die Auseinandersetzung mit queeren Vorbildern nicht immer einfach ist, zeigen Bettina und Elisa. Die beiden lesbischen Frauen haben sich Johanna Elberskirchen (1864-1943) als ihre Ahnin ausgesucht. Die feministische Schriftstellerin setzte sich für die Rechte von Frauen, Homosexuellen und Arbeitern ein und war in der Sexualreform-Bewegung aktiv. Als lesbische Aktivistin leistete sie Pionierarbeit, doch sie fiel auch durch eugenische und rassenhygienische Behauptungen auf. Kann so eine Person ein queeres Vorbild sein? „Sie ist als queere Ahnin nicht nur Opfer, sie ist auch Täterin. Können wir das akzeptieren, ohne es gut zu heißen?“ Bettina und Elisa haben ihre Antwort darauf gefunden: „Johanna ist nicht unser queeres Vorbild. Aber sie ist eine unserer Vorfahrinnen. Denn wie bei unserer Blutsfamilie, sind die, die vor uns gelebt haben, nicht immer unfehlbar. Manches geben sie uns mit, manches können wir lernen, anderes müssen wir aktiv verlernen. So, dass es nicht zu unserer DNA wird.“

 

Junge Frau in schwarz mit gelbem Shirt steht aufrecht, eine ältere Frau blauem Shirt steht gebeugt über Umzugskartons. Im Hintergrund hängen Bilder an der Wand.
Bettina (links) und Elisa finden heraus, dass ihre lesbische Vorfahrin kein Vorbild sein kann. // Foto: Sandra Then

Jede der erzählten Geschichten ist sehr persönlich. Alvin, ein schwuler cis Mann, suchte eine Liebesgeschichte und fand sie in den Briefen von Gilbert und Gordon. Die beiden britischen Soldaten Anfang 20 lernten sich vor Beginn des Zweiten Weltkriegs kennen und verliebten sich ineinander. Sie wurden auseinandergerissen, blieben aber in ständigem Briefkontakt und schmiedeten Pläne für eine gemeinsame Zukunft nach dem Krieg. Nach Gilberts Tod im Jahr 2008 entdeckte man 600 ihrer Liebesbriefe und übergab sie einem Museum. Erst beim Entziffern der Briefe kam heraus, dass die Initialen G & G für Gordon und Gilbert und nicht wie zuvor angenommen für Mann und Frau stehen.

 

Junger Mann mit Tattoos, einem roten Halstuch und gekleidet in ein schwarzes Shirt mit der Aufschrift "Miau" steht im Vordergrund und hält ein Stück Papier in seinen Händen. Im Hintergrund sitzt ein anderer junger Mann.
Alvin liest aus den Liebesbriefen vor, die sich die britischen Soldaten Gilbert und Gordon im Zweiten Weltkrieg geschrieben haben. // Foto: Sandra Then

Trans* Frau Isa berichtet darüber, was es für sie bedeutet hat, als die deutsche Sängerin Kim Petras vor einem Jahr für ihr Duett mit Sam Smith („Unholy“) als erste Transperson mit einem Grammy-Award ausgezeichnet wurde. In ihrer Dankesrede erinnerte Petras an ihre Freundin, die 2021 verstorbene Künstlerin Sophie Xeon. Beide stehen für die Sichtbarkeit von trans* Personen und sind daher Isas Vorbilder. Ein Foto von Sophie nimmt Isa aus ihrem Recherche-Karton und hängt es an die Bühnenrückwand. Dort hängen am Ende des Stücks die Porträts aller „Queer Ancestors“, die für die Theaterclub-Teilnehmer*innen eine wichtige Rolle in ihrer Identitätsfindung gespielt haben.

 

Frau mit langen blonden Haaren und weißem Shirt hält ein goldenes Miniatur-Grammophon in der Hand und freut sich.
"And the Grammy goes to... Kim Petras!" - Isa fehlte es lange Zeit an sichtbaren trans* Frauen. // Foto: Sandra Then

„Queer Ancestors“ ist kein Aufklärungstheater für Heteros, aber eben auch kein aktivistisches Theater für die queere Community. Das war das Ziel von Anfang an. Und das ist dem Theaterclub -Team und den Teilnehmenden ganz hervorragend gelungen. Das Stück hat durchaus das Potenzial für mehr als die geplanten drei Aufführungen, zumal auch die Termine am 17. März und 20. April 2024 schon nach kurzer Zeit ausverkauft waren. Es zeigt, wie wichtig es ist, sich mit queerer Geschichte auseinanderzusetzen und sich der Leistungen und manchmal auch der Widersprüche seiner queeren Vorfahren bewusst zu werden. Der queere Theaterclub hat dafür wichtige Arbeit geleistet. Bravo!

 

Elf Menschen schauen vom oben in die Kamera. In der Mitte ist ein Scheinwerfer an der Decke zu sehen.
Die Teilnehmer*innen am queeren Theaterclub des Stadtkollektivs. // Foto: Sandra Then

QUEER ANCESTORS

Eine Theaterclub-Inszenierung über Ikonen der LGBTQ+-Geschichte und uns

 

Von und mit Finn Dittmer, Isabella Forster, Lou Magnus Heckhausen, Jessica Heldstab, Bettina Hermanowski, Martha Martens, Leo Milo Matteo Näckel, Ronaldo Navarro, Georg Patermann, Alvin Philipps, Elisa van den Bogaard

 

Regie: Lasse Scheiba, Liz Sonnen

Bühne: Frauke Wettengel

Kostüm: Valentin Küppers

Regieassistenz: Jonna Zeltwanger

Kostümassistenz: Sofia Thalmann

Licht: Jörg Paschen

Ton: Tim Fissmann

Dramaturgische Begleitung: Joy Reißner

 

In Kooperation mit Queere Geschichte(n) Düsseldorf


Text: Oliver Erdmann