Queere Akzente am Düsseldorfer Schauspielhaus

Im Gespräch mit Düsseldorf Queer verrät Robert Koall, Chefdramaturg am Düsseldorfer Schauspielhaus, warum es selten queere Stoffe auf der großen Bühne gibt und wie sich das Theater für die LSBTIQ*-Community öffnen will.

Bild: Robert Koall
Robert Koall ist seit der Saison 2016/17 Chefdramaturg und stellvertretender Generalintendant am Düsseldorfer Schauspielhaus. // Foto: Thomas Rabsch

Das Theater versteht sich als Spiegel der Gesellschaft. Sein Bildungsauftrag ist unbestritten und sein Beitrag zum demokratischen Diskurs gerade in Zeiten gesellschaftlicher Konflikte wichtig. Von der Schaubühne als einer moralischen Anstalt sprach schon Friedrich Schiller. Hier soll das Leben spielen – mit all seinen Fassetten. Doch wo waren politisch heiß diskutierte Gesellschaftsthemen wie die „Ehe für alle“, Diskriminierung von LSBTIQ* und deren jahrzehntelangen Kampf um Akzeptanz. Zuletzt machte die Aktion #ActOut die Runde, mit der deutsche Schauspieler*innen in einem gemeinsamen Coming-out gegen Stereotypisierung und Diskriminierung eintraten. Doch auf den deutschen Theaterbühnen sind queere Themen Mangelware.

Robert Koall: „Auf der großen Bühne fehlte die queere Geschichte zuletzt“

Auch in den letzten Spielzeiten des Düsseldorfer Schauspielhauses wurden eher selten queere Themen behandelt. Das Junge Schauspiel hatte vor einiger Zeit mit dem Coming-of-Age-Stück „Die Mitte der Welt“ (Premiere Nov. 2017) die Probleme des Erwachsenwerdens und schwule Liebe auf die Bühne gebracht. Der Liederabend „Boys don’t cry and girls just want to have fun“ von André Kaczmarczyk (Premiere Juli 2018 im Kleinen Haus) war ein queeres Bonbon. Und zuletzt gab es ein paar kleinere Formate im Unterhaus. „Auf der großen Bühne fehlte die queere Geschichte zuletzt“, sagt Chefdramaturg Koall selbst, aber dies habe gewiss nichts mit fehlender Relevanz zu tun. Hier habe der Film eben einen deutlichen Vorteil, meint er, denn er schöpfe beständig neu und nicht – wie das Theater – auch immer wieder aus einem Kanon, der aus historischen Gründen denkbar unqueer sei. Diese Lücke für die große Bühne gelte es zu schließen.

 

Bild: Kilian Ponert und Paul Jumin Hoffmann
Das Junge Schauspiel brachte 2017 das Coming-of-Age-Stück „Die Mitte der Welt“ (mit Kilian Ponert und Paul Jumin Hoffmann in den Hauptrollen) auf die Bühne. // Foto: David Baltzer

Falk Richters „Small Town Boy“ (Premiere 2014 am Berliner Maxim Gorki Theater) sei beispielsweise ein ganz hervorragender queerer Stoff gewesen, sagt Robert Koall, doch dann käme lange nichts. Koall selbst hat vor einigen Jahren den Coming-of-Age-Roman „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf für die Theaterbühne bearbeitet; es wurde eines der meistgespielten Bühnenstücke der 2010er-Jahre. Dass die Geschichte um die beiden Außenseiter Tschick und Maik nicht selten als schwules Coming-out-Drama gehandelt wird, wundert ihn selbst. „Ich habe das nicht in dieser Lesart abgespeichert“, sagt er. Als er damals zur Veröffentlichung des Jugendromans in Russland zu einer Podiumsdiskussion eingeladen worden war, hätten weinende Teenager im Publikum gesessen. Da habe er gemerkt, welch emotionale Bedeutung ein einziger Satz „Ich bin schwul“ für Heranwachsende in einem Land haben kann, das den offenen Umgang mit Homosexualität als Homopropaganda unter Strafe stellt. „Das war ein einschneidendes Ereignis für mich“, sagt Robert Koall.

Als Nächstes kommt „Identitti“

Was ist in nächster Zeit vom Düsseldorfer Schauspielhaus in Bezug auf queere Thematiken zu erwarten? Chefdramaturg Robert Koall fällt da zuerst das Stück „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ von Rainer Werner Fassbinder ein. Das Drama um eine lesbische Liebe feiert in Kürze Premiere im Kleinen Haus. Für die Spielzeit 2021/22 entsteht derzeit die Bühnenfassung von Mithu Sanyals Romandebüt „Identitti“. Die Düsseldorfer Autorin ist seit ihrem Sachbuch „Vulva – Das unsichtbare Geschlecht“ eine Kultfigur der Feminist*innen- und Lesben-Szene. Eine geplante Bearbeitung des gefeierten Debütromans „Auf Erden sind wir kurz grandios“ von Ocean Vuong scheiterte bislang an rechtlichen Fragen, verrät der stellvertretende Generalintendant.

 

Bild: Sonja Beißwenger und Anna-Sophie Friedmann
Rainer Werner Fassbinders Stück "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" (mit Sonja Beißwenger und Anna-Sophie Friedmann in den Hauptrollen) ist eine der nächsten Premieren des Düsseldorfer Schauspielhauses. // Foto: Thomas Rabsch

Die LSBTIQ*-Community der Landeshauptstadt kann sich auch auf eine Neuerung freuen: Mit der Rückkehr zum normalen Leben nach Corona will sich das Düsseldorfer Schauspielhaus mit seinen Räumen am Gustaf-Gründgens-Platz stärker als bisher für die Bürger*innen der Stadt öffnen. Generalintendant Wilfried Schulz war einer der ersten Unterzeichner der „NRW-Erklärung der Vielen“, in der es u.a. heißt, dass sich die Kunst- und Kultureinrichtungen als offene Räume begreifen. Robert Koall sagt, dass die Belebung des luxuriösen Foyers und die ganztägige Nutzung des großen Theatergebäudes für Besucher*innen und Gruppen ein erklärtes Ziel der Intendanz sei. Somit sei selbstverständlich auch die queere Community eingeladen, das Schauspielhaus zu einem Ort für Treffen, Sitzungen oder Veranstaltungen zu machen.

 

Bild: Chefdramaturg Robert Koall
Robert Koall wurde 2013 mit dem Toleranzpreis des CSD Dresden e.V. ausgezeichnet. Auch in Düsseldorf will er sich dafür stark machen, dass zum CSD die Regenbogenfarben am Schauspielhaus erstrahlen. // Foto: Thomas Rabsch

Robert Koall ist seit der Saison 2016/17 Chefdramaturg und stellvertretender Generalintendant am Düsseldorfer Schauspielhaus. 2013 war er der erste Preisträger des Toleranzpreises des CSD Dresden e.V., der seitdem jährlich an Menschen verliehen wird, die sich persönlich für die Belange der LSBTIQ*-Bewegung einsetzen. Koall, der zu der Zeit Chefdramaturg am Staatsschauspiel Dresden war, hatte 2011 erstmals veranlasst, dass die Regenbogenfahnen auf dem Theaterhaus gehisst wurden. Ob er sich auch dafür stark machen wolle, dass am Gustaf-Gründgens-Platz zum CSD oder zum IDAHOBIT am 17. Mai (dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Trans-Feindlichkeit) die Regenbogenfahnen wehen, wollte Düsseldorf Queer wissen. Robert Koalls Antwort kommt prompt: „Leider haben wir keine Fahnenmasten – aber riesige Monitore. Also: ja, unbedingt.“

 

Text: Oliver Erdmann