Daniel Ernesto Müller ist ausgebildeter Tänzer, Performancekünstler und seit drei Jahren Pflegevater. Der 39-Jährige ist Teil des Düsseldorfer Künstler-Duos HARTMANNMUELLER, das sich seit 2011 mit Arbeiten zwischen Tanz, Performance und Theater einen Namen gemacht hat. Im dq-Interview erzählt er von seinen Erfahrungen als Pflegevater.
1_ Vor über drei Jahren hast du zusammen mit deinem Lebenspartner ein Pflegekind aufgenommen. Wie kam es dazu?
Mein Freund und ich haben unabhängig voneinander schon immer das Bedürfnis gehabt, eine Familie zu gründen. Bei mir ging das so weit, dass ich meine Homosexualität sehr lange nicht wahrhaben
wollte und mich erst spät geoutet habe. Über den innigen Wunsch, ein Kind bei uns aufzunehmen, haben mein Freund und ich allerdings nicht gesprochen. Wir wussten beide, dass es nicht möglich ist
bzw. der Weg noch nicht sehr oft gegangen wurde. Und dann waren wir zusammen mit der Mutter meines Freundes im Urlaub. An einem Abend kam es auf das Thema, und dann haben wir angefangen gemeinsam
darüber zu sprechen. Und da wurden uns beiden klar, dass wir es unbedingt wenigstens probieren müssen. Dann begannen fünf Jahre der Recherche, Gespräche mit dem Jugendamt, Treffen mit anderen
Regenbogenfamilien, viele Enttäuschungen und am Ende eine Zeit der puren Freude.
2_ Für homosexuelle Paare ist der Kinderwunsch immer noch nicht selbstverständlich. Wie habt ihr darüber diskutiert und eure Entscheidung getroffen?
Es ist nicht selbstverständlich, weil man es nicht vorgelebt bekommt. Die Vision einer eigenen Familie hat nicht die Möglichkeit zu reifen. Und was man nicht denkt, hat auch nicht die Chance zu
entstehen. So war es zumindest bei uns. Als ich meiner Mama von unserem Vorhaben erzählt habe, sagte sie nur: „Daniel, jetzt bist du schwul, hast so lange dafür gekämpft frei zu sein, hast die
Möglichkeit, alles zu tun was du willst. Die Gesellschaft verpflichtet dich nicht, Kinder zu bekommen. Du bist Künstler. Warum willst Du das jetzt alles aufgeben?“ Aber für meinen Freund und mich
war der Kinderwunsch schon immer im Herzen verankert und so unfassbar stark. Für uns stellte sich nur immer die Frage, inwieweit wir unser Leben umstellen müssen. Wir sind beide freiberufliche
Künstler. Wir waren immer mindestens fünf Monate im Jahr im Ausland. Wir waren Tag und Nacht zusammen und liebten dieses Leben. Also fingen wir an, mit dem Gedanken schwanger zu gehen.
Wir haben uns regelmäßig zusammengesetzt, wenn es darum ging, langfristige berufliche Entscheidungen zu treffen. Wir haben uns überlegt, wie das jetzt mit Kind wäre. Wie wir es machen würden. Ob
wir beide mit dem Ergebnis glücklich wären etc. Und am Ende ließ sich alles gut besprechen. Wir haben Lösungen gefunden. Und so gaben wir dem Vorhaben „Wir werden eine Familie“ ein JA. Und dann
ging die Reise los.
3_ Habt ihr im Vorfeld oder während eurer Pflegeelternschaft negative Erfahrungen mit Vorurteilen oder Diskriminierung machen müssen (und wenn ja, welche)?
Um ehrlich zu sein, nur ein einziges Mal. Das war beim Jugendamt in Düsseldorf. Da saß ein sehr freundlicher Mann Mitte 40, der sich zunächst alles angehört hat, was wir zu sagen hatten. Und dann sagte dieser Herr: „Natürlich können sie ein Kind aufnehmen. Ihnen muss nur klar sein, dass es HIV-positiv, vielleicht auch mit Hepatitis infiziert und wahrscheinlich auch alkohol- und drogengeschädigt ist. Sie kennen doch die Süchtigen am Worringer Platz, oder? Kinder von solchen Menschen.“ Und weil dieser Mann so freundlich war, haben wir ihm zunächst geglaubt. Das war damals sehr hart und hat uns erschüttert.
Können wir als schwules Paar tatsächlich nur ein HIV-positives „Drogenkind“ aufnehmen? Werden wir nur unter diesen Bedingungen als Eltern akzeptiert? Wir haben das als sehr diskriminierend
empfunden. Das war aber auch das einzige Mal, dass wir Diskriminierung in einer solchen Form erfahren haben.
4_ Welche positiven Erfahrungen habt ihr als zwei Väter in den vergangenen Jahren gemacht?
Viele, so unfassbar viele. Wir waren sehr überrascht, wie selbstverständlich und offen uns begegnet wird. Ob auf dem Spielplatz, beim Arzt, im Kindergarten. Es sind viele Gespräche und daraus
resultierend Freundschaften entstanden. Es kommt auch immer mal wieder vor, dass wir von anderen Menschen aus der LGBTIQ*-Szene angesprochen werden, wie wir es geschafft haben, ein Kind
aufzunehmen. In solchen Momenten wird uns klar, dass wir ungewollt in der Öffentlichkeit auch politisch agieren. Dass eine Papa-Papa-Kind-Familie so akzeptiert wird, macht uns sehr glücklich und
lässt freudig in die Zukunft blicken.
5_ Welche Voraussetzungen muss man mitbringen, um ein Pflegekind bei sich aufzunehmen? Welche Betreuungs- und Beratungsangebote gibt es in Düsseldorf? Welche finanzielle Unterstützung gibt es?
Das kann ich nicht umfassend beantworten, da ich nicht alles kenne. In unserem Fall war ja immer sofort im Vordergrund, was gibt es für uns als Männerpaar. Und da gibt es quasi nichts. Keine
Beratung, keine Informationen und keine Vorbilder. Wir haben unfassbar viel recherchiert und eigentlich nichts gefunden. Für Frauenpaare ist es was anderes, da ist es viel üblicher und wohl auch
häufiger und leichter eine Familie zu gründen. Allein schon aus biologischen Gründen. So haben wir in fünf Jahren Suche keinen anderen gangbaren Weg gefunden, als am Ende die Möglichkeit ein
Pflegekind über den Evangelischen Verein für Adoption und Pflegekinderhilfe e.V. aufzunehmen. Und selbst hier sind wir die Ersten gewesen. Das Ganze ist echte Pionierarbeit. Aber eine sehr tolle
und wunderschöne. Wir haben schon Nachahmer. Finanziell bekommt man für ein Pflegekind neben dem Kindergeld noch Pflegegeld.
6_ Ist eine gefestigte Partnerschaft eine Voraussetzung für die Pflegeelternschaft? Was würde passieren, wenn man sich von seinem Partner trennt? Anders gefragt: Kann man auch als
alleinstehender Mann ein Pflegekind betreuen?
Natürlich ist eine gefestigte Partnerschaft Voraussetzung. Aber, wie wahrscheinlich bei jeder jungen Familie, wird diese erstmal extrem auf den Prüfstein gestellt und einmal alles komplett
durcheinandergewirbelt. Wir mussten uns erstmal komplett neu finden und das ist nicht immer leicht. Man ist nicht mehr nur noch für sich selbst verantwortlich, sondern plötzlich für alles. Alles
muss geplant und abgesprochen werden, jede Entscheidung betrifft plötzlich nicht mehr nur einen selbst sondern alle Mitglieder. Und ich rede hier nicht von großen Entscheidungen, sondern von
jeder, ganz alltäglicher Entscheidung. Auch ist man nie mehr allein. Was auf der einen Seite wunderschön ist, für uns als Künstler aber auch nicht immer leicht, denn diese Zeit des Alleinseins,
des In-sich-Kehrens ist essenzieller Teil jeder künstlerischen Arbeit.
So mussten wir uns komplett umkehren. Aber diese Herausforderung hat uns – und macht uns bis heute – auch viel stärker, bewusster und offener. Was passieren würde, wenn wir uns trennen würden,
mag ich mir gar nicht ausmalen. Wir müssten uns ein neues Modell überlegen und dieses vor den Zuständigen offenlegen. Alles müsste neu verhandelt werden. Letzten Endes geht es immer um das
Kindeswohl. Und am Ende wären wir höchstwahrscheinlich ein getrenntlebendes Paar mit Kind, das zu einer Einigung in Bezug auf die Kindesbetreuung gekommen ist. Aber für unseren Sohn wäre das gar
nicht gut, denn er hat in seinen jungen Jahren schon sehr viel Verluste erlitten. Wir werden schön zusammenbleiben und dieses wunderbare Wesen bis zum Ende unterstützen.
7_ Ein Pflegekind aufzunehmen, ist ja etwas anderes, als ein Kind zu adoptieren. Warum habt ihr euch für das Pflegekind-Modell entschieden?
Um ehrlich zu sein, anfangs nur, weil es nach all der Suche der einzig mögliche Weg war. Nach anfänglichen Zweifeln bin ich jetzt überzeugt davon, dass es ein sehr gutes Modell ist. Man muss sich
schon klar machen, dass das Jugendamt mit einem Vertreter, das Gericht mit einem Vormund für das Kind und in unserem Fall auch eine Vertreterin vom Evangelischen Verein für Adoption und
Pflegekinderhilfe e.V., regelmäßig zu uns nach Hause kommen. Die leiblichen Eltern haben auch das Recht auf regelmäßigen Kontakt. Man ist also eine öffentliche Familie. Das alles wird im
Vorhinein geprüft und über die Häufigkeit der Besuche entschieden. Es gibt zweimal im Jahr ein Hilfeplangespräch, wo man über die Entwicklung des Kindes und mögliche Förderungen spricht. Am Ende
sind das alles Möglichkeiten und Gegebenheiten, die dem Kind helfen sollen. Und wir können beide sagen, dass das auch stimmt. In manchen Situationen ist es sehr hilfreich, sich auszutauschen und
nach Rat zu fragen. Denn ein Pflegekind kommt mit einem gepackten Rucksack in eine neue Familie. Diesen gilt es behutsam auszupacken, zu sortieren und neu einzuräumen. Und das ist nicht immer
einfach.
8_ Siehst du deinen Pflegesohn eigentlich als dein Kind an?
Aber natürlich. Ich sehe ihn nicht nur so an. Er ist mein Kind. 24 Stunden am Tag. Zwölf Monate im Jahr. Mein Leben lang.
9_ Dein Kind ist sicher auch eine Inspiration für deine künstlerische Tätigkeit. Wie profitierst du als Künstler vom Vatersein?
Profitieren würde ich es zunächst nicht nennen. Das freie künstlerische Arbeiten wird auf eine harte Probe gestellt. Mein Freund und ich mussten uns ganz neu strukturieren, auf Vieles verzichten,
neue Wege gehen. Aber die Welt durch die Augen eines Kindes zu sehen, durch das Herz eines Kindes zu fühlen, durch die Ohren eines Kindes zu hören, durch die Nase eines Kindes zu riechen, durch
den Mund eines Kindes zu schmecken, ist Inspiration für jeden. Ein Kind stellt Fragen, die man sich schon lange nicht mehr gestellt hat, hinterfragt alles, was als selbstverständlich gilt und
stellt sein Gegenüber, in dem Fall mich, in Frage. Und das inspiriert mich jeden Tag aufs Neue. Aber nicht nur auf meine Arbeit bezogen.
10_ Was würdest du anderen homosexuellen Paaren raten, die sich ein Kind wünschen?
Geht in Euch. Sprecht viel miteinander über diesen Wunsch. Macht Euch klar, dass alles anders kommt, als man es planen kann. Und dann gebt dem Ganzen ein JA.
Und ich sitze gerade mit meiner Mama zusammen und habe ihr ihr Zitat von damals vorgelesen und sie sagte: „Und jetzt sind wir so glücklich mit diesem kleinen Jungen. Zum Glück hast du damals
nicht auf mich gehört“!
Bei Fragen zum Thema Kinderwunsch empfiehlt Daniel Ernesto Müller den Evangelischen Verein für Adoption und Pflegekinderhilfe e.V. (www.evangelische-adoption.de).
Weitere Beratungsstellen in Düsseldorf:
https://www.diakonie-duesseldorf.de/jugend-familie/kinder-eltern/pflegefamilien/pflegefamilien/
https://www.awo-duesseldorf.de/familien/regenbogenfamilien/
Fragen: Oliver Erdmann