Elena Lipilina arbeitet im Rahmen eines Bundeskanzler-Stipendiums im Organisationsteam der EuroGames 2020 Düsseldorf mit. Auch in ihrer russischen Heimat setzt sich die 34-Jährige für Vielfalt im Sport ein. Im DQ-Interview berichtet sie über ihr Engagement.
1_ Wie bist Du zum Team der EuroGames 2020 Düsseldorf gestoßen?
Ich traf Dirk Behmer vom EuroGames-Orgateam beim Düssel-Cup 2014, als ich im Rahmen des Outreach-Programms eine Frauen-Basketballmannschaft zum Cup gebracht hatte. Dank Dirk und seiner harten
Arbeit war dies eine unglaubliche Erfahrung. 2015 nahmen mein Team und ich an den EuroGames in Stockholm teil, wo wir die Bronzemedaille gewannen.
2_ Wie hilfreich war für Dich das Outreach-Programm?
Es hat eigentlich mein ganzes Leben verändert. Erst nach dem Düssel-Cup sah ich die begeisterte Reaktion meiner Mannschaft auf alles, was sie in Düsseldorf erlebt hatte. Ich habe gesehen, wie
inspiriert und gestärkt wir alle nach Russland zurückgekehrt sind. Und ich dachte, dass ich diese Erfahrung nutzen könnte, um etwas in Russland aufzubauen, und das habe ich getan.
Im Jahr 2015 habe ich WAMSPORT ("Women's AMateur Sport") gegründet – ein Sportprojekt, das die Stärkung der Frauen durch Sport zum Ziel hat. Unser Frauen-Team hat es seitdem aus einer winzigen
Turnhalle bis zur Moskauer Basketball-Meisterschaft der Frauen geschafft. Und es hat mich schließlich zur nächsten Idee geführt: Women's Summer Games (Frauen-Sommerspiele), die wie die EuroGames
für Frauen und diejenigen, die sich als solche identifizieren, sein sollen.
3_ Wie hast Du in Russland als bisexuelle Frau gelebt? Warst Du in der LSBTIQ*-Community aktiv?
Nun, leider konnte ich es mir nicht leisten, bei der Arbeit oder im öffentlichen Raum offen und laut zu sein. Es war immer klar, dass dies mein WAMSPORT-Projekt und alle Fortschritte, die wir im
Frauensport erzielen konnten, gefährden und kompromittieren würde. Auf persönlicher Ebene hatten wir die "Don't ask, don't tell"-Politik („Frag‘ nicht – erzähl‘ nicht“) mit meinen Eltern, die
jetzt leider beide verstorben sind. Aber seltsamerweise habe ich jetzt mehr Mut. Ich habe mich zum Beispiel vor den Leuten in meiner Bundeskanzler-Stipendiat*innen-Gruppe offen geäußert, und alle
– einschließlich der russischen Stipendiat*innen – waren sehr verständnisvoll und unterstützend.
Vor WAMSPORT, das ich als einen sicheren und inspirierenden Raum für alle geschaffen habe, die sich unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung als Frau identifizieren, hatte ich als
Vorstandsmitglied des russischen LGBT-Sportverbandes gearbeitet, was eine sehr bestärkende und wertvolle Erfahrung war.
4_ Unter welchem Druck leben Homosexuelle heute in Russland?
Die LGBTIQ-Gemeinschaft in Russland steht jetzt unter immensem Druck, und es wird nicht besser. Zusätzlich zu der bestehenden homophoben Gesetzgebung und den bestehenden Fällen der Verfolgung von LGBTIQ-Personen ist die russische Regierung nun dabei, die Verfassung zu ändern. Zwei Dinge sind bereits sehr beängstigend: die Tatsache, dass es angeblich Diskussionen gibt, den Gottesbegriff in die Verfassung aufzunehmen und die Ehe als die Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau zu definieren. Viele Menschen sind aus dem Land geflohen, weil sie um die Sicherheit ihrer Familien und Angehörigen fürchten. Es ist ein großer Schritt hin zu einem totalitären Männerregime, was gerade jetzt in Russland stattfindet, und es ist erschreckend.
5_ Wie wichtig ist die Unterstützung der LSBTIQ*-Community hierzulande für die Situation in deinem Heimatland?
Ohne große Übertreibung würde ich sagen, dass es angesichts der jüngsten Entwicklungen nun um eine Existenzfrage geht. Wie ich bereits erwähnt hatte, sind viele Menschen aus dem Land geflohen,
aber viele sind immer noch dort, und sie leben versteckt und selbstverleugnet, was verständlich ist, aber nicht hilft.
Wir brauchen also wirklich Projekte wie den Düssel-Cup, die EuroGames und das Outreach-Programm, um der russischen LGBTIQ-Gemeinschaft zu zeigen, dass es möglich ist, akzeptiert, gefeiert und
geliebt zu werden, während man Sport treibt. Wir brauchen diese positiven Beispiele und Erfahrungen, um dem Druck, den die Regierung auf uns ausübt, standhalten zu können.
6_ Wie kam es dazu, dass du das Bundeskanzler-Stipendium der Alexander-von-Humboldt-Stiftung erhalten hast?
Das war ein ziemlich langer Prozess. Ich bewarb mich erstmals Anfang September 2018 um das Stipendium, erhielt die Einladung zur Auswahlsitzung im Februar 2019. Das war ein großer Wettbewerb und ziemlich nervenaufreibend. Erst im April 2019 bekam ich ein "Ja" und konnte meine Reise nach Deutschland antreten. Die entscheidende Bedingung für das Stipendium war es, einen Gastgeber in Deutschland zu finden, der für das Projekt relevant ist, und ich konnte mir niemand besseren als das Team der EuroGames Düsseldorf vorstellen. Ein großer Dank geht an Dirk Behmer und Götz Fellrath, die meine Bewerbung von Anfang an unterstützt haben!
Ich bin der Stiftung auch sehr dankbar dafür, dass sie mir die Möglichkeit gegeben hat, dieses Jahr in Deutschland zu verbringen und das zu tun, was ich liebe und woran ich fest glaube, so dass
sich das Warten gelohnt hat.
7_ Was genau ist Deine Aufgabe bei den EuroGames 2020 Düsseldorf?
Meine Hauptaufgabe wird es sein, die Konferenz im Vorfeld der Spiele zu organisieren, aber ich bin auch daran beteiligt, mehr Frauenmannschaften anzuwerben und im Vorfeld der EuroGames in
direkter Interaktion mit den russischsprachigen und osteuropäischen Teilnehmer*innen zu stehen.
8_ Welches sind die Themen des von Dir mitorganisierten Sport-Kongresses? Wer kann teilnehmen? Wann und wo findet der Kongress statt?
Wir sind jetzt dabei, die Tagesordnung zu gestalten und die organisatorischen Details wie den Veranstaltungsort und das genaue Thema zu klären. Was ich jetzt schon sagen kann, ist, dass es auf
jeden Fall um Frauen im Sport und um Integration gehen wird. Das ist etwas, worauf ich persönlich sehr gespannt bin. Und ich bin dem Organisationsteam sehr dankbar, dass ich die Leitung
übernehmen durfte. Die Konferenz soll zwei Tage vor den EuroGames stattfinden, also am 3. und 4. August 2020, und wir freuen uns auf jede*n, der sich für das Thema interessiert und teilnehmen
will.
9_ Was gefällt Dir an Düsseldorf? Worauf freust du Dich bei den EuroGames am meisten?
Oh, ich bin absolut verliebt in Düsseldorf. Es gibt alles, was ich mir von einer Stadt wünschen kann. Okay, es gibt kein Meer, aber immerhin den Rhein. Hier kann man vieles fußläufig oder mit dem
Rad erreichen, und Düsseldorf ist grün, freundlich, elegant und aktiv. Ich denke, es ist deshalb der perfekte Veranstaltungsort für die EuroGames, und ich freue mich sehr darauf, den
Teilnehmer*innen der EuroGames dabei zu helfen, dies alles zu erkennen und so verzaubert zu sein wie ich.
10_ Was sind Deine Pläne für die Zukunft?
Gerne würde ich Düsseldorf zur Heimatstadt der Women's Summer Games machen. Das ist das Projekt, an dem ich arbeite und das wie die EuroGames sein soll, aber für Frauen. Ich denke, nach den
EuroGames wird es nur logisch sein, dass diese erstaunliche und einladende Stadt weiterhin herausragende Veranstaltungen beherbergt, die darauf abzielen, die Menschen durch Sport zu stärken und
ihnen Freude zu bringen. Ich kann mir wirklich keinen besseren Ort dafür vorstellen, und ich wäre sehr glücklich hierzubleiben, um dieses Projekt zum Leben zu erwecken.
Darüber hinaus arbeite ich an einer digitalen Plattform, die ebenfalls versucht, Frauen und die LGBTIQ-Gemeinschaft mit Sportvereinen zu vernetzen. Und auch hierbei ist Düsseldorf der geeignetste
und inspirierendste Ort, um dies zu tun, da es hier eine Vielzahl von engagierten Gruppen gibt, die auch digital gut vernetzt sind, um das Beste aus meiner Idee zu machen.
Infos zu den EuroGames 2020 Düsseldorf: www.eurogames2020.de